Stilistisch stehen Dörings Bildwelten ihrem hohen Narrationsgehalt in nichts nach.
In Zeiten, die immer schnelllebiger und von zunehmender Technologisierung geprägt sind, steigt unser Aktualitätsanspruch überproportional an. Die Sucht nach dem stets Neuen, noch nicht Gesehenen, ultimativ Spektakulären zieht die Menschen in den Bann von Social Media, insbesondere von bildfixierten Diensten wie Instagram und Pinterest. Wo das Bild den echten Inhalt längst abgehängt hat.
Mit „All New“ entlarvt Jörg Döring die Mechanismen unserer Zeit; und hinterfragt einmal mehr den kategorischen Innovationsimperativ, der unseren bisherigen Wertekanon gehörig ins Wanken zu bringen droht. „Nichts wird besser dadurch, dass man es in geradezu inflationärer Form mit dem Etikett des Neuen versieht.“, sagt Jörg Döring. „Der Mensch ist ein evolutionär, historisch und kulturgeschichtlich gewachsenes und über die Jahrtausende geformtes Wesen – und sehnt sich damals wie heute nach Beständigkeit, Orientierung und Vertrautheit.“
Ein Spiel mit Konnotationen und Codices
Diesen originären Sehnsüchten spürt der Düsseldorfer in seinen einzigartigen Bildwelten nach. Und setzt dabei gezielt auf vordergründige, offensive Effekte, um daraus einen hintergründigen Subtext abzuleiten. Denn der scheinbaren Widersprüchlichkeit von visueller Bombastik und stiller Nachdenklichkeit begegnet Döring mit den Mitteln eines versierten Storytellers, wo das Laut zum Leise wird, das Expressive zum Reflexiven, das vermeintlich Offensichtliche zum hermeneutischen Spiel.
Jörg Döring erreicht diese Wendung durch Typografien, die den Sujets seiner Bilder entgegengesetzt sind und somit deren gängige Bedeutung, Rezeption und Konnotation in der Ikonographie konterkarieren. Da appellieren Supermodels in lasziver Pose an die wahren Werte des Humanismus, üben Kritik am Schönheitswahn und Konsumterror unserer Zeit, während Comic-Helden wie Mickey, Snoopy & Co. die Macht der Liebe beschwören oder uns auffordern, endlich wieder unseren Träumen zu folgen. Jörg Döring macht die ikonischen Botschafter der Oberflächlichkeit zu Mahnern und Aktivisten und verpackt somit Gesellschaftskritik in hedonistische Kontexte, die uns gleichzeitig betören wie nachdenklich stimmen.
Die Zelebrierung der Materialität
Stilistisch stehen Dörings Bildwelten ihrem hohen Narrationsgehalt in nichts nach; so bedient er sich unterschiedlichster Techniken und Codices, chlasht seine foto- bis hyperrealistische Motivik mit neonfarbenen Farbfeldern und dramatischen Lichtschattierungen, bis Figürlichkeit und Abstraktion sich zu einer neuen Bildsprachform verdichten. Dabei greift er auf eine Multilayer- und Collagetechnik zurück, die er mit Siebdruck, Ölmalerei, Drippings und einem von ihm spezialisierten Verfahren auf Basis von Epoxidharz anreichert. Und so der inhaltlichen Komplexität eine ebenbürtige Materialität zur Seite stellt.
Sein erklärtes Lieblingsmaterial bleibt die Ölfarbe, dem laut Döring „bewährtesten und sinnlichsten aller Künstlermittel“ – und führt somit einmal mehr das Postulat des „All New“ ad absurdum.
Doch tatsächlich wartet er dann doch mit etwas Neuem auf; so wählt er – nach den bislang bevorzugten Zitationen der 1960-1980er Jahre – seine Sujets diesmal verstärkt aus der Jetztzeit. Was die gewohnte Retroromantik ein Stück weit ablöst und die Motivformation als Erweiterung seines Œuvres befördert.
Mit „All New“ erweist Jörg Döring sich wieder mal als Meister des Spiels um Schein und Sein, um illusorische Konstrukte und den dahinter liegenden Wahrheitsgehalt, um Materialität und Essenz. Und um die konzentrische Frage, was im Leben wirklich zählt.
Jörg Döring – All New @ 30works
Eröffnung: 06.04.2019, 19 Uhr
Ausstellung: 07.04.2019 bis 04.05.2019
Öffnungszeiten: Di - Sa, 12:00-19:00 Uhr